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🔴 Der wichtigste Job der Welt - Teil 5 (der letzte)

Geschichte

Die vorherigen Teile findest du hier: Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4

Der nächste Morgen

"Sie sind zu früh."

Sandra steht am Fenster des Konferenzraums bei Steinbeiss und starrt auf den Parkplatz. Zwei schwarze Limousinen rollen durch das Werkstor. Es ist erst kurz nach neun.

"Um wie viel?" Thomas lockert den Kragen seines Hemdes.

"Drei Stunden." Sie dreht sich um. "Der Termin war für nach der Mittagspause."

Ich spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht. Wir sind noch nicht bereit. Die Präsentation ist nicht fertig, die Zahlen nicht final geprüft, die Belegschaft nicht...

"Perfekt", sagt Thomas.

Sandra und ich starren ihn an.

"Was?"

"Sie wollen uns aus dem Konzept bringen." Er lächelt. "Also zeigen wir ihnen, dass wir keins haben. Jedenfalls nicht das übliche." Er greift zum Telefon. "Maria? Sind Sie da? Gut. Plan B jetzt."

Keine fünf Minuten später klopft es. Karl Wegner steckt den Kopf zur Tür herein. "Sie sind da. Zwei Männer, eine Frau. Die Frau scheint die Chefin zu sein."

Thomas nickt. "Namen?"

"Ms. Chen” grinst Karl. "Die Tochter persönlich."

Ich sehe, wie Thomas kurz die Augen schließt. Die Tochter des Firmengründers. Das erklärt den frühen Besuch. Sie will uns testen.

"Wo sind sie jetzt?", fragt Sandra.

"Felix führt sie durchs Werk." Karl zwinkert. "Der Junge macht das schon."

"Felix?" Ich starre Karl an. "Aber er ist doch nur..."

"Ein Student?" Karl lacht leise. "Der mehr von unseren Maschinen versteht als die meisten Ingenieure. Außerdem...", er deutet aus dem Fenster, von dem aus man in die Werkshalle sehen kann, "...spricht er ziemlich gut Mandarin. War ein Jahr in Shanghai. Praktikum bei..." Er hält inne.

"Bei wem?", frage ich.

"Bei Chen Industries."

Thomas lacht auf. "Natürlich! Deswegen..." Er schüttelt den Kopf. "Karl, Sie sind ein Genie."

Ms. Chen und ihre Begleiter gehen gerade an der Fräsmaschine vorbei, die Peter und Karl nachts repariert hatten.

Sandra tippt heftig auf ihrem Laptop. "Das hätte in seiner Personalakte stehen müssen!"

"Steht es auch", sagt Karl ruhig. "Aber wer liest schon die Personalakten von Werkstudenten?"

Ich trete ans Fenster. Felix erklärt gerade etwas an der Maschine, unterstreicht seine Worte mit präzisen Handbewegungen. Ms. Chen nickt, macht sich Notizen. Ihre Begleiter tuscheln miteinander.

"Er kennt ihre Abläufe", murmelt Thomas. "Er weiß, worauf sie Wert legen. Deswegen hat er..."

"Sein Prüfverfahren", ergänze ich. "Es ist kompatibel mit ihrer Qualitätskontrolle."

"Nicht nur kompatibel." Karl strahlt jetzt regelrecht. "Es ist eine Weiterentwicklung. Felix hat bei Chen gelernt, wie man's macht - und dann überlegt, wie man's noch besser machen könnte."

Durch die Scheibe sehen wir, wie Felix die Gruppe zur nächsten Station führt. Ms. Chen hat ihr Smartphone gezückt, tippt während des Gehens eine Nachricht.

"Das könnte gut sein", sagt Thomas. "Oder sehr schlecht."

"Wieso schlecht?", frage ich.

"Wenn sie denkt, wir hätten Betriebsgeheimnisse gestohlen..."

"Haben wir nicht", unterbricht Karl scharf. "Felix hat dort gelernt - ja. Aber was er entwickelt hat, ist seine eigene Idee. Seine Innovation."

Sandra steht auf. "Sie kommen zurück."

Tatsächlich. Die Gruppe bewegt sich auf die Tür zum Verwaltungstrakt zu. Felix und Maria voran, Ms. Chen und ihre Begleiter dahinter, immer noch in lebhafter Diskussion.

"Showtime", murmelt Thomas. Dann richtet er sich auf. "Karl, holen Sie die anderen. Alle, die unterschrieben haben. Und Peter auch."

Karl nickt und verschwindet.

"Jonas." Thomas sieht mich an. "Bereit für Plan B?"

Ich schlucke. "Was genau ist Plan B?"

"Keine PowerPoint-Präsentation", sagt Thomas. "Keine Excel-Tabellen. Keine Berater-Buzzwords." Er tritt ans Fenster. "Nur Menschen, die für ihre Firma kämpfen."

"Aber die Zahlen...", beginnt Sandra.

"Die Zahlen kommen später. Erst müssen sie verstehen, mit wem sie es zu tun haben." Er dreht sich zu uns um. "Ms. Chen war nicht umsonst bei der Führung dabei. Sie will sehen, wer wir sind. Was wir können. Ob wir es ernst meinen."

Schritte auf dem Flur. Stimmen.

"Sie sind gleich hier", sagt Sandra.

Thomas nickt. "Perfekt. Jonas?"

"Ja?"

"Du kennst jetzt beide Seiten. Die Zahlen und die Menschen." Er lächelt. "Zeit, wirklich etwas zu bewegen."

Die Tür öffnet sich.

Ms. Chen ist eine kleine Frau in einem perfekt sitzenden Businessanzug. Ihr Gesicht zeigt keinerlei Regung, als sie den Raum betritt. Ihre Begleiter - zwei Männer in makellosen, dunkelblauen Anzügen - folgen ihr wie Schatten.

Felix und Maria kommen als letzte herein. Felix' Wangen sind leicht gerötet, aber seine Augen leuchten. Ein gutes Zeichen?

"Mr. Berger." Ms. Chen nickt Thomas zu. Ihr Englisch ist makellos. "Eine... ungewöhnliche Führung." Sie lässt ihren Blick durch den Raum schweifen. "Ich vermisse allerdings den Vorstand von Steinbeiss."

"Dr. Wagner ist per Video zugeschaltet", sagt Thomas und deutet auf den Bildschirm an der Wand.

"Interessant." Sie zieht eine Augenbraue hoch. "Sie zeigen uns also zuerst die Werkshalle und nicht die Chefetage?"

"Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen", sagt Thomas.

"Hmm." Sie setzt sich, faltet die Hände auf dem Tisch. "Ihr junger Mitarbeiter ist sehr...", sie sucht nach dem richtigen Wort, "...beeindruckend."

Felix senkt den Kopf, aber ich sehe sein Lächeln.

"Warum", fragt Ms. Chen, "haben Sie ihn uns nicht früher vorgestellt?"

Stille im Raum. Alle Augen richten sich auf Thomas.

"Weil wir ihn selbst erst gestern kennengelernt haben", sage ich, bevor Thomas antworten kann. "Genau wie Karl Wegner. Und Peter Meyer. Und all die anderen, die diese Firma am Laufen halten."

Ms. Chen hebt eine Augenbraue. "Sie sind?"

"Jonas Weber. Junior Consultant." Ich hole tief Luft. "Und ich habe in den letzten zwei Tagen mehr gelernt als in meinem ganzen Studium."

Einer ihrer Begleiter beugt sich vor, flüstert ihr etwas auf Mandarin zu. Sie hebt die Hand - eine kleine Geste, aber er verstummt sofort.

"Was genau haben Sie gelernt, Mr. Weber?"

In diesem Moment öffnet sich die Tür erneut. Karl kommt herein, hinter ihm Peter, Lisa und mindestens ein Dutzend weitere Mitarbeiter. Die Vertrauensleute, die unterschrieben haben.

Ich sehe in die Gesichter der Menschen, die gerade hereingekommen sind. Menschen, die ich vor zwei Tagen noch übersehen hätte.

"Ich habe gelernt, dass wahre Größe nicht darin liegt, über anderen zu stehen", sage ich langsam. "Sondern darin, ihnen zu dienen. Diese Menschen hier - sie dienen dieser Firma jeden Tag. Mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung, ihrer Innovationskraft. Nicht weil sie müssen. Sondern weil sie es wollen. Und weil sie diese Firma und ihre Arbeit lieben."

Ms. Chen lehnt sich vor. "Schöne Worte, Mr. Weber. Aber was bedeutet das?"

"Das bedeutet", ich hole tief Luft, "dass wir Ihnen nicht nur Zahlen präsentieren werden, sondern Menschen, die bereit sind, alles zu geben. Die schon bewiesen haben, dass sie es können. Die nur darauf warten, gehört zu werden."

Ms. Chen schweigt. Ihr Blick wandert durch den Raum, von einem Gesicht zum anderen. Bleibt an Felix hängen, an Karl, an Peter.

Schließlich wendet sie sich Felix zu: "Sie haben bei uns gelernt. Und dann sind Sie hierher zurückgekommen. Warum?" Sie zuckt die Schultern.

Felix tritt vor. "Weil ich hier etwas bewegen kann. Weil die Menschen hier..." Er sieht zu seinem Großvater. "...weil sie mir vertrauen. Weil sie mir die Chance geben, Dinge besser zu machen."

Ms. Chen nickt langsam. Dann wendet sie sich an ihre Begleiter, spricht kurz auf Mandarin. Einer der Männer öffnet seine Aktentasche, reicht ihr ein Dokument.

"Was viele nicht wissen", sagt sie, während sie das Papier vor sich ausbreitet, "mein Vater hat auch einmal klein angefangen. Als Werkzeugmacher." Sie lächelt zum ersten Mal. "Er sagt immer: Eine Firma ist nur so gut wie die Menschen, die für sie arbeiten."

Sie sieht auf. "Zeigen Sie uns Ihre Zahlen, Mr. Weber. Und dann..." Ihr Blick wandert zu den Vertrauensleuten. "...lassen Sie uns über die Zukunft reden."

Ein Jahr später.

"Und, wie läuft's bei Steinbeiss?" Martha schwenkt ihren Teebeutel, genau wie bei unserer ersten Begegnung.

Ich lehne mich an die Büroküche. "Gut. Die neue Kooperation mit Chen..." Ich stocke, muss lächeln. "Sie wissen das ja eh von Maria."

"Natürlich." Sie zwinkert. "Meine Schwester sagt, Sie haben viel verändert dort drüben."

"Ich?" Ich schüttle den Kopf. "Ich habe nur gelernt zuzuhören. Und zu dienen, wo ich kann."

Martha nickt zu meinem Kreuz-Anstecker. "Haben Sie eigentlich je herausgefunden, was der wichtigste Job der Welt ist?"

Ich denke an das letzte Jahr. An Karl und Felix. An Peter, der jetzt beide Firmen betreut. An all die Menschen, die jeden Tag für andere da sind, ohne nach Ruhm zu fragen. An Thomas, der mir gezeigt hat, dass wahre Größe im Dienen liegt.

"Ja", sage ich leise. "Ich habe verstanden, dass jeder Job wichtig ist - wenn man ihn als Dienst an anderen versteht. Egal ob man putzt oder Zahlen kontrolliert, Maschinen wartet oder Strategien entwickelt." Ich lächle. "Es geht nicht um die Position. Es geht darum, wie man sie ausfüllt. Mit Liebe zu den anderen."

Martha wendet sich ihrer Arbeit zu.

Sie muss nichts mehr sagen. Sie hat es mir ja von Anfang an gezeigt.

ENDE

So, ab morgen gibt’s erstmal ein paar kürzere Geschichten. Ich hoffe, dieser Mehrteiler hat dir gefallen :)

Hab’ einen gesegneten Tag
Jörg “wem kannst du heute dienen?“ Peters