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đź”´ Der wichtigste Job der Welt - Teil 3

Geschichte

Die vorherigen Teile findest du hier: Teil 1 | Teil 2

"Werk 2 ist gleich hier links."

Martha deutet auf ein graues Gebäude. Sie hatte darauf bestanden, uns zu begleiten. "Maria müsste in der Kantine sein."

Die Mittagspause bei Steinbeiss ist in vollem Gang. Thomas und ich folgen Martha durch ein Labyrinth aus Gängen. Überall Maschinen, gedämpftes Summen, der Geruch von Öl und Metall. Eine andere Welt als unsere klimatisierten Büros.

Durch eine Glastür sehen wir in die Kantine. Lange Tische, einfache Stühle. An einem davon sitzt eine Frau in blauer Arbeitskleidung. Die Ähnlichkeit mit Martha ist unverkennbar.

"Maria!" Martha winkt.

Ihre Schwester blickt auf. Ein kurzes Lächeln, dann wird sie ernst. "Die von der Beratung?"

Martha nickt. "Das sind Thomas Berger und Jonas Weber."

Maria mustert uns. Ihr Blick bleibt an Thomas' Holzkreuz hängen, wandert zu meinem Anstecker. "Die Christen also." Sie steht auf. "Kommt mit. Aber lasst eure Aktentaschen hier."

Zögernd sehe ich Thomas an. Er zuckt die Schultern, stellt seine Tasche auf einen Stuhl. Ich tue es ihm gleich.

Maria führt uns durch einen Seitenausgang in einen schmalen Gang. An den Wänden hängen vergilbte Fotos. Steinbeiss-Mitarbeiter bei der Arbeit, bei Betriebsfeiern, beim Richtfest für die neue Werkshalle.

"DreiĂźig Jahre." Maria deutet auf eines der Bilder. "Der da vorne, das ist Karl. Arbeitet immer noch hier. Seine Tochter auch. Und sein Enkel arbeitet hier in seinen Semesterferien." Sie bleibt stehen. "FĂĽr euch sind das wahrscheinlich nur Zahlen in einer Tabelle. FĂĽr uns..." Sie schĂĽttelt den Kopf.

"Deswegen sind wir hier", sagt Thomas leise. "Wir wollen verstehen."

"Verstehen?" Maria schnaubt. "Ihr kommt hierher in euren schicken Anzügen, schaut euch ein paar Zahlen an und erklärt uns dann, wie wir besser arbeiten sollen. Aber habt ihr eine Ahnung, wie es wirklich läuft?"

Noch bevor einer von uns antworten kann, öffnet sie eine Tür. "Sozialraum", sagt sie. "Hier treffen sich die Schichten zur Übergabe."

Der Raum ist voll. Mindestens zwanzig Arbeiter sitzen an den Tischen, andere lehnen an den Wänden. Alle Augen richten sich auf uns.

"Das sind die von der Beratung", sagt Maria. "Sie wollen verstehen."

Stille. Nur das ferne Brummen der Maschinen. Ein Mann in verschmutzter Arbeitskleidung steht auf. Groß, kräftig, graue Strähnen im dunklen Haar.

"Das ist Karl Wegner", sagt Maria. "Den ich euch gerade auf dem Foto gezeigt habe." Der Mann nickt. "Das sind die von der Beratung", fährt sie fort. "Sie wollen verstehen, sagen sie."

"Ihr wollt also verstehen?" Seine Stimme ist ruhig, aber in seinen Augen liegt Sorge.

Thomas tritt vor. "Ja. Wir wissen, dass Chen Industries..."

"Chen?" Ein bitter klingendes Lachen aus der hinteren Ecke. "Die wollen uns plattmachen."

"Nein", sage ich schnell. Zu schnell. "Sie wollen nur..."

"Was?" Karl verschränkt die Arme. "Was wollen sie? Uns erklären, dass wir zu teuer sind? Dass man in Asien billiger produziert?"

Wieder Stille. Ich spüre Thomas' Blick, aber ich kann nicht anders. Die Worte sprudeln einfach heraus: "Wir haben einen Plan. Die Lagerbestände reichen für dreizehn Tage. Wenn wir in der Zeit..."

"Dreizehn Tage?" Eine Frau mit kurzen grauen Haaren steht auf. "Das ist alles? Dreizehn Tage, um dreihundert Familien zu retten?"

Ich schlucke. Was hatte ich erwartet? Dankbarkeit fĂĽr unsere brillante Analyse?

"Lisa", sagt Karl sanft. "Lass sie ausreden." Er wendet sich wieder an uns. "Ihr tragt beide ein Kreuz. Wisst ihr, was das bedeutet?"

"Dass wir Christen sind", antworte ich automatisch.

"Dass ihr dient", korrigiert er. Seine Stimme wird eindringlich. "Wie Jesus gedient hat. Nicht von oben herab, sondern..." Er sucht nach Worten.

"Von unten", sagt Thomas leise. "Indem man zuhört. Versteht. Gemeinsam nach Lösungen sucht."

Karl nickt langsam. Dann dreht er sich zu den anderen um. "Was meint ihr? Sollen wir ihnen zeigen, wie's hier wirklich läuft?"

Gemurmel. Nicken. Einer ruft: "Aber ohne Krawatten!"

Maria tritt vor. In ihren Händen hält sie zwei blaue Arbeitsanzüge. "Willkommen bei Steinbeiss", sagt sie. "Zeit für einen Perspektivwechsel."

Die Arbeitskleidung kratzt. Der Kragen ist zu weit, die Ärmel zu kurz. Aber darum geht es nicht, wird mir klar, als Karl uns durch die Fertigungshalle führt.

"Hier werden die Grundplatten gefräst", erklärt er. Eine riesige Maschine dröhnt vor uns. "Letzte Woche ging der Kühlkreislauf kaputt. Wir haben die Reparatur selbst gemacht, nachts, damit die Produktion weiterlaufen konnte."

"Warum nachts?", frage ich.

"Weil tagsĂĽber produziert werden muss. Und weil die offiziellen Wartungsfirmen zu teuer sind." Er grinst. "Peter - euer Hausmeister - hat uns geholfen. Der war frĂĽher Maschinenbauer bei Steinbeiss, bevor er zu euch gewechselt ist. Kommt immer noch vorbei, wenn wir ihn brauchen."

Ich stolpere fast. Peter? Unser Peter, der heute Morgen den Aufzug repariert hat?

"Die da." Karl deutet auf eine Palette. "Material von Chen. Beste Qualität, aber teuer. Wir haben einen Weg gefunden, effizienter damit umzugehen. Spart dreißig Prozent. Steht in keinem Handbuch."

Thomas macht sich Notizen. Die obersten Knöpfe seines Hemdes sind offen, das Holzkreuz an der Lederkette schimmert im Neonlicht. Die Hemdärmel hat er hochgekrempelt. Er sieht aus, als hätte er sein Leben lang hier gearbeitet.

"Moment", sage ich. "DreiĂźig Prozent? Warum steht das nirgends?"

Karl lacht freudlos. "Weil uns nie jemand gefragt hat."

"Und das ist nur der Anfang", sagt eine Stimme hinter uns. Lisa, die Frau aus dem Sozialraum, steht an einer Werkbank. "Wir kennen jeden Handgriff, jede Schwachstelle. Wir wissen, wo Zeit verloren geht und wo Material verschwendet wird."

"Warum habt ihr das nicht...?" Ich verstumme. Die Antwort liegt in ihrem Blick.

"Dem Management gesagt?" Sie schnaubt. "Die interessieren sich nicht fĂĽr das, was von unten kommt. Die haben ihre Berater." Sie sieht mich an. "Keine Beleidigung."

Karl führt uns weiter. Überall nicken uns Arbeiter zu, zeigen Abläufe, erklären Verbesserungsvorschläge. Mit jedem Schritt wird mir klarer: Hier steckt ein Schatz an Wissen, den keine Excel-Tabelle je erfassen könnte.

"Und das Beste kommt noch", sagt Karl. Er öffnet eine Tür zur Qualitätskontrolle. "Chen mag unsere Qualität. Nur der Preis ist ihnen zu hoch. Aber schaut euch das an."

"Felix!" Karl winkt einen jungen Mann heran. "Mein Enkel. Macht seinen Master in Maschinenbau, ist in den Semesterferien hier. Das PrĂĽfverfahren war seine Idee - Teil seiner Masterarbeit."

Felix zeigt auf den Bildschirm vor ihm. "Wir haben die Sensordaten der letzten drei Jahre analysiert", erklärt er. "Mit dem neuen Algorithmus erkennen wir Fehler viel früher. Reduziert die Ausschussquote um fast vierzig Prozent."

Thomas pfeift leise durch die Zähne. "Das... das ist brilliant."

"Deswegen sind wir hier noch nicht pleite", sagt Karl. "Weil die Leute hier..." Er lächelt seinen Enkel an. "...weil wir alle kämpfen. Jeden Tag."

Das Smartphone in meiner Hosentasche vibriert. Eine Nachricht von Sandra: "Wo seid ihr? Meeting in 30 Minuten."

Ich schaue auf die Uhr und erschrecke. Drei Stunden sind vergangen. Drei Stunden, die mein Weltbild auf den Kopf gestellt haben.

"Wir mĂĽssen los", sagt Thomas. Er deutet auf unsere Arbeitskleidung. "Die anderen warten schon."

Karl nickt. "Geht nur. Ihr habt gesehen, was ihr sehen solltet."

Auf dem Weg zur Umkleide sind wir beide still. Zu viele Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Die selbst reparierte Maschine. Das eingesparte Material. Das brillante PrĂĽfverfahren. Und vor allem: die Menschen dahinter.

Maria und Martha warten mit unseren Sachen. Sie haben offensichtlich die Zeit genutzt, um sich auszutauschen. "Chen kommt also morgen", sagt Maria. "Martha hat's mir erzählt."

Ich nicke nur. Was soll ich sagen? Dass ich mich schäme für meine Arroganz? Dass ich endlich begreife, was Thomas heute Morgen meinte?

"Dann kommt das hier genau richtig." Maria greift in ihre Tasche, holt einen Umschlag heraus. "Wir haben letzte Woche schon geahnt, dass es ernst wird. Der Betriebsrat hat eine Versammlung einberufen."

Sie reicht Thomas den Umschlag. Seine Hände zittern leicht, als er ihn öffnet.

"Eine Absichtserklärung", erklärt sie. "Die Vertrauensleute haben unterschrieben. Zwanzig Prozent Gehaltsverzicht, sechs Monate. Wenn es eine echte Chance gibt, die Firma zu retten, ziehen die anderen mit. Da bin ich sicher."

"Mit den Einsparungen, die wir euch gezeigt haben", fügt sie leiser hinzu, "plus dem Gehaltsverzicht... das könnte reichen. Für den Anfang."

Ich denke an Chen Industries. An ihren Besuch morgen. An all die Präsentationen und Analysen, die wir vorbereitet haben.

Wertlos. Alles wertlos.

Aber vielleicht ist das ja genau der Punkt.

Oje, ich hoffe, ich habe den Mund mit “bis Freitag fertig” nicht zu voll genommen 🙄

Hab’ einen gesegneten Tag
Jörg “ich bin gespannt, wie’s weitergeht“ Peters