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đź”´ Spiel des Lebens - Teil 2
Geschichte
Erinnern Sie sich an mich?
Der Zylinder. Bisher habe ich von Thomas erzählt … und was ich für ihn tun konnte (gemeines Lachen)
Wissen Sie, was das Faszinierendste an der menschlichen Seele ist? Wie sie sich in verschiedenen Zeiten auf so... unterschiedliche Weise verkauft.
Aber sehen Sie selbst…
Der gläserne Spiegel
Ah, die Neunziger!
Eine neue Ära. Das Jahrzehnt der Poweranzüge und Mobiltelefone, groß wie Ziegelsteine. Die Zeit, als "Erfolg" zum neuen Gottesdienst wurde. Und mittendrin: Christine Weber, 28, MBA von der London School of Economics. Eine... (genüsslich) bemerkenswerte Dame. Karrierefrau mit - wie sie es nannte - "gläserner Decke im Visier".
Ich traf sie 1994 auf einem dieser typischen Consulting-Teambuilding-Events. Monopoly als Metapher fĂĽr Unternehmensstrategien - wie ĂĽberaus originell.
Sie griff sofort nach mir.
Ihre manikürten Finger schlossen sich um mein poliertes Metall, als wäre ich ein lang ersehnter Preis. "Der Zylinder", verkündete sie ihren Kollegen, "steht für Durchsetzungskraft. Zeit, dass eine Frau hier die Führung übernimmt."
Da saß sie nun, perfekt gestylt in Armani. Eine Kriegerin im Businessanzug, bereit die Welt zu erobern. Ahnt nicht, dass sie tatsächlich nur dabei war, sich selbst zu verlieren.
Sie gewinnt an diesem Abend. Brillant, messerscharf, gnadenlos. Einer ihrer männlichen Kollegen - Klaus, graue Schläfen, Maßanzug, alte Schule - gratuliert ihr mit diesem speziellen Lächeln: "Nicht schlecht... für eine Frau."
In diesem Moment sehe ich den ersten feinen Riss. Wie bei einem Kristallglas, das einen Schlag zu viel bekommen hat. Noch hält es. Noch funkelt es. Aber der Riss ist da. Und er wächst.
Am nächsten Tag kauft sie das Spiel. "Als Inspiration", erklärt sie ihrer Freundin Sarah beim Lunch. Doch in Wahrheit wird es ihr Altar. Ihr Schrein. Der Tempel, in dem sie Nacht für Nacht ihr eigenes Ego anbetet.
Die Jahre vergehen wie Spielzüge auf dem Brett des Lebens. Christine steigt auf. Junior Partner. Senior Partner. Manchmal streicht sie gedankenverloren über die kleine Zylinder-Anstecknadel an ihrem Revers. "Mein Glücksbringer", erklärt sie mit diesem neuen, geschliffenen Lächeln.
Ein Lächeln, das mit jeder Beförderung härter wird. Kälter. Wie Diamanten.
Sarah trifft sie im Winter '98 zum Lunch. Ihre beste Freundin aus Jugendtagen leitet inzwischen die Notaufnahme im städtischen Krankenhaus, engagiert sich in der Gemeinde. Zwischen Salat und Perrier stellt sie die Frage: "Ist es das wert, Christine? Die 80-Stunden-Wochen? Dass du nicht mehr in den Gottesdienst kommst? Dass wir uns so selten sehen?"
Christine nippt an ihrem Mineralwasser. "Gott hilft denen, die sich selbst helfen", sagt sie. Perfekt artikuliert. Perfekt selbstgerecht.
Tja, dann kommt 2001. Der große Crash. Christines Firma war... nun, sagen wir, kreativ in der Buchhaltung. Der Skandal ist spektakulär. Die Aktionärsklagen noch viel mehr. Dreißig Milliarden Dollar - einfach weg.
Wie Spielgeld.
Sie ĂĽberlebt es, natĂĽrlich. Solche wie sie ĂĽberleben immer.
Ein Jahr später wird sie Partnerin in einer noch größeren Firma. Mit noch höherem Gehalt. Mit noch mehr... Christine. Mit noch weniger... Seele.
Das Monopoly-Spiel steht heute in ihrer Penthouse-Wohnung. Vitrine. Designerbeleuchtung. Manchmal, spätabends, nimmt sie mich heraus. Dann sitzt sie da, den kleinen Metallzylinder zwischen den Fingern, und starrt mich an.
Ihre Augen... glauben Sie mir, ich habe viele leere Augen gesehen, aber ihre... Sie sind wie geschliffenes Glas. Wie polierte Obsidianflächen.
Schwarz. Glänzend. Und tot.
Manchmal, wenn das Licht der Designerlampen sich darin spiegelt, sehe ich ihn: Den ganzen Horror. Eine perfekt geschliffene Leere, in der sich der Erfolg tausendfach bricht wie in einem kafkaesken Spiegelkabinett. Jede Reflexion zeigt eine weitere Version ihrer selbst - die Partnerin, die Gewinnerin, die Macht-Hungrige - aber keine davon ist echt.
Keine davon lebt.
Es sind nur Echos in einem gläsernen Sarg, den sie ihr Leben nennt.
Eines Abends - ihr Blick fällt gerade auf das Rennauto in der kleinen Schachtel - bemerke ich ein schwaches Flackern in der spiegelnden Leere. Ein Echo dessen, was einmal ihre Seele war. Dann schaut sie wieder auf mich und es verschwindet so schnell wie ein Atemhauch auf kaltem Glas.
Die perfekte Reflexion des Erfolgs - und dahinter? Nichts als der Abgrund einer Frau, die sich selbst zu ihrem eigenen Gott poliert hat.
Klink
Zurück in die Schachtel. Sanft. Fast zärtlich.
Die Besten sind immer die, die nicht merken, dass sie verlieren, während sie gewinnen.
Die ihren eigenen Tod nicht bemerken, während sie erfolgreich weiterleben.
Aber genug von den Neunzigern.
Sie fragen sich vielleicht, was aus mir geworden ist? Nun, die Zeiten ändern sich. Die Menschen auch. Nur ihre... sagen wir mal, Schwächen bleiben die gleichen.
Und damit auch mein Vorgehen…
Die perfekte Inszenierung
Jan.
Ein Name wie ein Hashtag. Kurz. Prägnant. Bedeutungslos.
Lassen Sie mich von diesem jungen Mann erzählen. So modern. So influencersque. So wunderbar oberflächlich - und doch bis in die Tiefe seiner geschönten Seele selbstverliebt.
Ich fand ihn vor nicht einmal drei Jahren. Oder besser: Er fand mich. In einem dieser "Vintage Lifestyle Stores" in Berlin-Mitte lag ich zwischen handgeschöpftem Recycling-Papier und überteuerten Vinyl-Platten. Authentisch inszenierte Nostalgie für die Generation Instagram.
"Perfect aesthetic!", rief er beim Anblick des Spiels. Seine Augen fixierten sofort den Zylinder. "Das wird viral gehen!"
Jan ist ein "Creator". 157K Follower auf Instagram, 230K auf TikTok. Sein Content? "Authentic Living". Ein charmantes Paradox, denn sein authentisches Leben besteht aus geliehenen Uhren, gemieteten Sportwagen und sehr, sehr vielen Filtern.
Nicht nur ĂĽber seinen Fotos.
Auch ĂĽber seiner Seele.
Das Monopoly-Spiel - und ich - werden Teil seiner "Old Money Aesthetic"-Serie. Er drapiert mich zwischen leeren Vintage-Champagnerflaschen und Zigarren, die er sich fĂĽr das Shooting geliehen hat.
"Der Zylinder steht für Klasse", erklärt er seinen Followern mit dieser wunderbaren Ahnungslosigkeit. "Für echte Authentizität. Für... mich."
Oh Jan. SĂĽĂźer, dummer Jan.
Wenn er nur wüsste, wie recht er damit hat. Der Zylinder steht tatsächlich für... ihn. Für diese perfekt polierte Leere, die er sein Leben nennt. Für diesen Abgrund aus Selbstinszenierung, in den er mit jedem Post ein Stück tiefer rutscht.
Die Ironie ist köstlich. Da inszeniert er alte Werte, während er seine Seele an den Algorithmus verkauft. Trends statt Tiefgang. Follower statt Freundschaft. Likes statt Liebe.
Eine Million Follower.
Zwei Millionen.
Drei.
Natürlich helfe ich ein wenig nach. Ein dezenter Algorithmus-Schub hier, ein kleiner Viral-Moment da. Die Menschen sind so wunderbar berechenbar, wenn man ihre Schwächen kennt.
Und Jan?
Jan verschlingt den Erfolg wie digitales Kokain. Gierig. SĂĽchtig. Mit jedem Like ein bisschen leerer.
"Sei einfach du selbst!", predigt er in seinen Storys. "Folge deinem Herzen!" Tausende nicken. Keiner bemerkt die bittere Ironie: Ein Mann, der sein Selbst für den Ruhm verkauft, predigt Authentizität.
Nachts, wenn die Ring-Lights ausgehen, sitzt er in seinem "Content Creation Space" - zehn Quadratmeter, gemietet für 3000 Euro pro Monat. Der blaue Schein seines MacBooks wirft Schatten auf sein Gesicht wie digitale Gefängnisgitter. Dann starrt er auf seine Analytics. Plant den nächsten Post. Den nächsten Fake. Die nächste Version seiner selbst.
Und ich gönne es ihm! (lacht)
Sein Erfolg ist mein Erfolg. Seine Leere meine Freude.
Gestern postete er ein neues Foto. Er sitzt in seinem gemieteten Penthouse, im Hintergrund der beleuchtete Fernsehturm. In seiner Hand hält er mich in perfekter Position in die Kamera. "#blessed", schreibt er darunter. "#authenticity #oldmoney #success"
Die Kommentare explodieren. Tausende Herz-Emojis. Hunderte "So inspiring!"
Dann, um 3 Uhr morgens, dieser eine Post: Ein Selfie im Badezimmer. Das Licht zu grell, die Augen zu müde für Filter. Er hält das Monopoly-Spiel wie einen Rettungsring. "Sometimes I miss the old times. Playing board games with real friends. Being... real."
Plötzlich bin ich hellwach.
Der Post bleibt nur zwei Minuten online. Dann löscht er ihn hastig. Nur ich habe es gesehen - dieses letzte, verzweifelte Flackern einer erstickenden Seele, die sich selbst zum Gott gemacht hat.
Am nächsten Morgen ist sein Feed wieder perfekt. Seine Augen im Blaulicht des Smartphones leerer denn je. Seine Posts hungriger. Seine Selbstinszenierung makelloser.
Perfekt.
Klink
Ja, wir kommen zum Ende dieser kleinen Episode, doch diesmal gleite ich noch nicht zurück in die Box. Jan und ich, wir sind noch nicht fertig miteinander. Seine Follower-Zahlen steigen täglich. Seine Menschlichkeit schwindet stündlich.
Ein perfekter Austausch, finden Sie nicht?
Ach, diese wunderbare neue Generation! (sanft) So besessen von sich selbst. So hungrig nach Bestätigung. So wunderbar... verloren.
Aber ich schweife ab. Wollen Sie wissen, was mit all meinen kleinen Projekten am Ende passiert? Wohin die Reise fĂĽr Thomas, Christine und - bald - auch Jan fĂĽhrt?
Kommen Sie näher. Ich verrate es Ihnen...
Eigentlich wollte ich nur eine kleine Geschichte ĂĽber Monopoly schreiben. Nun sind wir immer noch nicht am Ende, sorry.
Inzwischen habe ich die Geschichte allerdings fertig und darum gibt es morgen garantiert den letzten Teil. Für heute wärs zuviel an Text gewesen. Vielleicht habt ihr gemerkt, dass der Zylinder immer mehr von seiner Maske fallen lässt, morgen könnt ihr ihn dann in seiner “ganzen Pracht” erkennen.
Hab’ einen gesegneten Tag
Jörg “pass auf, auf wen du dich einlässt“ Peters