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đź”´ Spiel des Lebens - Teil 1
Geschichte
Der Zylinder
Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Zylinder, hochfeiner Zylinder aus dem ehrwĂĽrdigen Spiel Monopoly, Jahrgang 1935.
(gedämpftes Räuspern) DER Zylinder, wie mich so mancher ehrfurchtsvoll nennt.
Nach mir wird stets als erstes gegriffen. (samtweich) Ich sage das nicht ohne Stolz. Denn seien wir ehrlich: Neben mir wirken der Fingerhut und der Schuh doch reichlich... nun ja, nennen wir es bodenständig. Und der Rennwagen? Ach... es sind die ewig Kind Gebliebenen, die nach ihm greifen.
In meinen beinahe neunzig Jahren habe ich sie alle gesehen: Die Ehrgeizigen mit ihren brennenden Augen. Die Machthungrigen mit ihren zitternden Händen. Die, die über Leichen gehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Und - ah, meine besonderen Lieblinge - die Selbstgerechten mit ihrem scheinheiligen Lächeln.
(genĂĽsslich) Ich "liebe" sie geradezu. Sie sind so wunderbar... unterhaltsam. Sie greifen nach mir mit dieser ganz speziellen Mischung aus Ehrfurcht und Entschlossenheit - als wĂĽrden sie ahnen, was ich fĂĽr sie bereithalte.
"Der Zylinder bringt Glück", flüstern sie, während ihre Finger über mein poliertes Metall gleiten. (amüsiert) Wenn sie wüssten...
Aber lassen Sie mich von meiner eigentlichen Berufung erzählen.
Sehen Sie, offiziell bin ich nur eine simple Spielfigur. Inoffiziell... nun, sagen wir, ich habe einen gewissen Einfluss auf die Dynamik des Spiels. Oh, nicht auf die Würfel, natürlich nicht - (scheinheilig) das wäre ja Betrug! Nein, mein besonderes Talent liegt im... hmm, sagen wir, (genüssliche Pause) behutsamen Nähren der Selbstliebe.
Nehmen Sie nur gestern Abend... Eine scheinbar gewöhnliche Familienrunde: Vater, Mutter, zwei Kinder beim harmonischen Spieleabend. Der Vater greift nach mir. Seine Augen glänzen bereits, als er verkündet: "Der Zylinder passt zu mir. Ich hab heute nämlich Großes vor!"
“Ha”, denke ich und kann ein Lächeln nicht verkneifen, “ich auch!”
Seine Tochter Sarah verdreht die Augen. "Papa, es ist nur ein Spiel."
Nur ein Spiel! (leises Lachen) Wie oft höre ich diesen Satz. Dabei ist es niemals nur ein Spiel. Es ist eine Gelegenheit. Eine Chance. Eine... nun ja, sagen wir... Einladung, sich selbst zur Hauptfigur zu machen.
Der Vater gewinnt an diesem Abend. Und wie er gewinnt! Seine Hotels verschlingen ein Grundstück nach dem anderen, wie hungrige Raubtiere auf der Jagd. Als seine Frau schließlich vorschlägt, der kleinen Sarah etwas Spielgeld zu leihen - das Mädchen steht zitternd vor dem Bankrott - da lehnt er sich mit dem Selbstbewusstsein eines Eroberers zurück.
"Jeder ist seines Glückes Schmied", sagt er mit diesem neuen, selbstgefälligen Lächeln. "Das muss sie früh genug lernen."
Klink - ein perfekter Moment!
Seine Worte hallen noch nach, als ich später elegant und mit einem süffisanten Lächeln in meine Schachtel zurückgleite. Die kleine Sarah wird diese Nacht weinend einschlafen. Und ihr Vater? Er wird zum ersten Mal von größeren Spielen träumen...
Sehen Sie... (beinahe zärtlich) manchmal braucht es erstaunlich wenig, um die feinen Risse in einer Seele zu erweitern. Ein Moment des Triumphs hier, ein Hauch von Macht dort - und schon wird das Herz enger und enger, bis… (leises, wissendes Lachen) aber ich will nicht vorgreifen.
Genug von dieser kleinen Kostprobe. Lassen Sie mich Ihnen von einigen meiner... hmm... bemerkenswertesten "Klienten" erzählen.
Sie werden staunen, was ein unscheinbarer Zylinder so alles bewirken kann...
Vom Spieler zum Gespielten
Ah, Thomas MĂĽller...
(nostalgisch) Eine meiner liebsten Erinnerungen. Jahrgang 1927, aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen. Ich lernte ihn 1962 kennen, als seine Tante ihm zum 35. Geburtstag ein Monopoly-Spiel schenkte. "Damit du dich von der Arbeit entspannen kannst", sagte sie mit dieser rührenden Naivität.
Entspannung! (spöttisches Lachen)
Als ob Thomas jemals verstanden hätte, was das Wort bedeutet. Er war damals ein kleiner Angestellter in einer Versicherung - einer dieser... hungrigen Typen. Rastlos. Verbissen. Der perfekte Kandidat für meine... nun ja, nennen wir es… Führung.
Gleich in der ersten Runde griff er nach mir. Seine Finger zitterten leicht, als er mich auf das Startfeld setzte. Dieses Zittern... ah, wie gut ich es kenne. Es ist die erste Andeutung von... (samtweich) Potenzial.
"Der Zylinder", sagt er andächtig, "steht für Klasse." Seine Frau Martha lächelt nachsichtig.
(leise lachend) Die gute Martha... sie ahnt nicht, dass ihr Mann in diesem Moment einen Pakt schlieĂźt. Oh, nicht mit mir, natĂĽrlich - ich bin ja nur eine harmlose Spielfigur. Nein, er schlieĂźt ihn mit seinem Ego. Seinem Stolz. Seiner... wachsenden Selbstliebe.
In den folgenden Monaten entwickelt sich ein... reizvolles Ritual. Thomas kommt von der Arbeit nach Hause, schlingt hastig sein Abendessen hinunter und setzt sich dann an den Spieltisch. "Nur eine Runde", sagt er immer und hat dabei dieses überzeugende Lächeln im Gesicht.
Aus einer werden zwei, aus zweien drei. Martha geht irgendwann schlafen. Thomas bleibt. Mit sich selbst. Mit mir. Mit seinem wachsenden Hunger.
Er gewinnt. Immer öfter. Seine Strategie wird schärfer, sein Blick... kälter. "Man muss an sich glauben", erklärt er seinem kleinen Sohn Frank mit dieser neuen, metallischen Stimme. "Nur wer sich selbst vertraut, kommt nach oben."
Der kleine Frank nickt ernst. Er ist sieben und versteht noch nicht, dass sein Vater längst nicht mehr über Monopoly spricht. Aber ich... ich verstehe.
1965 kündigt Thomas seinen Job. "Ich mache mich selbständig", verkündet er beim Abendessen, während seine Finger unbewusst über meine polierte Oberfläche gleiten. Martha wird blass. "Aber was ist mit der Gemeinde?", flüstert sie. "Mit deinem Dienst in der Suppenküche?"
Ah, dieser Moment... Thomas' Mundwinkel zucken nach oben, eine langsame, geschmeidige Bewegung. Dieses neue Lächeln - ich kenne es so gut. Nicht mehr das warme Strahlen von früher. Nein... (gedehnt) kalt und selbstzufrieden wie ein satter Kater, der gerade einen Singvogel verschlungen hat.
Martha erstarrt. (sanft) In ihren Augen sehe ich diese besondere Art von Entsetzen - wenn man plötzlich einen Fremden im Gesicht des Menschen erkennt, den man zu kennen glaubte. Sie sieht die Verwandlung. Die Kälte. Den... Hunger. Zum ersten Mal sieht sie es wirklich.
(amĂĽsiert) Und ich? Ich sehe, wie sich ihre Finger unbewusst um das kleine Holzkreuz an ihrer Kette schlieĂźen.
Die nächsten Jahre sind... (genüsslich) nun, nennen wir es spektakulär. Thomas entwickelt ein geradezu übernatürliches Gespür für unterbewertete Immobilien. Er kauft. Verkauft. Kauft mehr. Seine Geschäfte werden größer, sein Herz... (bedeutungsvoll) wird kleiner. Das Monopoly-Spiel verstaubt in der Ecke. Er braucht es nicht mehr. Das echte Spiel hat längst begonnen.
1975 zieht die Familie in eine Villa. Martha weint beim Einzug. Nicht vor Freude, oh nein... "Du hast dich so verändert", flüstert sie mit dieser rührenden Verzweiflung in der Stimme. "Früher haben wir zusammen in der Bibel gelesen..."
"Ich habe jetzt Wichtigeres zu tun", unterbricht er sie barsch. Seine Schritte hallen durch den Marmor-Flur, als er in seinem Arbeitszimmer verschwindet. Dort steht ein Tresor. Ein massiver Safe aus deutschem Stahl. Das Monopoly-Spiel - und ich - kommen hinein. "Zur Erinnerung", sagt er, während das schwere Schloss einrastet.
Zur Erinnerung!
Als ob er sich je erinnern wĂĽrde, wie alles begann. Bei einer harmlosen Runde Monopoly, mit einer unscheinbaren Spielfigur, die aussah wie ein Zylinder und flĂĽsterte wie eine Schlange: "Mehr. Mehr. Mehr."
(Mit gespieltem Bedauern) Die Jahre vergehen. Frank geht studieren - Wirtschaft, natürlich. Martha geht in die Kirche - häufiger denn je.
Und Thomas?
Thomas geht in sich. Immer tiefer. Bis in ihm nichts mehr ĂĽbrig ist als ein Spiegelbild seiner selbst.
1982 findet man ihn tot an seinem Schreibtisch.
Herzinfarkt, sagten die Ärzte mit wichtiger Miene. “Überarbeitung”, murmeln die Geschäftsfreunde beim teuren Leichenschmaus. “Einsamkeit”, flüstert Martha in der leeren Kirche.
(sanft) Ein Herz, das zu voll war von sich selbst, um noch für etwas anderes Platz zu haben. Ist das nicht… poetisch?
Klink - so leise, so elegant glitt ich zurück in die Schachtel. Mission erfüllt, könnte man sagen. (bedeutungsvolles Schweigen) Wobei... nein, das verrate ich Ihnen später.
Erst möchte ich noch von einer besonderen Dame erzählen…
und das machen wir am Donnerstag :)
Hab’ einen gesegneten Tag
Jörg “spielt nicht gern Monopoly“ Peters