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🔴 Was bleibt, wenn die Rosen verblühen?
Geschichte
In jedem Seniorenheim gibt es diese eine Person, die alle anderen in den Schatten stellt. Im "Abendfrieden" hörte ich sie, bevor ich sie sah:
"Ach du meine Güte, schon wieder Fisch!"
Das Zweite, was ich von Gretchen Müller hörte, war ein dramatisches Seufzen, das die Callas in der Oper neidisch gemacht hätte.
Ich war gerade mal drei Minuten Pflegerin im Seniorenheim "Abendfrieden" und hatte schon meine erste Hauptdarstellerin gefunden.
"Die Soße ist viel zu hell!", verkündet Frau Müller dem ganzen Speisesaal. "Und die Kapern - ich bitte Sie! Bei mir sahen die früher ganz anders aus."
"Das liegt daran, dass das keine Kapern sind", flüstert mir meine Kollegin zu. "Das sind getarnte Erbsen - aber sag's ihr nicht!"
Frau Müller winkt mich an ihren Tisch. "Sie sind jung, Sie haben noch nicht so viel vom Leben gesehen. Aber ich sage Ihnen - früher konnte man noch kochen!"
Sie zieht ihr neues iPhone hervor ("Ein Geschenk von meinem Sohn Thomas... arbeitet bei einer großen Firma oben im Norden...") und wischt mit unsicheren Fingern durch ihre Fotos. Die meisten zeigten perfekt angerichtete Mahlzeiten.
"Sehen Sie? So muss ein Fischteller aussehen!"
Das Foto ist wirklich beeindruckend. Aber mein Blick bleibt am Datum hängen: Mai 2017.
"Haben Sie das gekocht, Frau Müller?"
"Natürlich!" Ihre Augen leuchten kurz auf, wie damals vielleicht, als sie täglich am Herd stand. Sie strafft die Schultern. "Thomas hat früher immer gesagt: 'Mama, dein Lachs ist der beste weit und breit!' Na ja..." Sie verstummt kurz. Dann reckt sie energisch das Kinn. "Heute hat ja niemand mehr Zeit zum Kochen. Alle immer beschäftigt, beschäftigt..."
Mit einem Lächeln lehne ich mich vor: "Das erinnert mich an meine Großmutter, Frau Müller. Sie hatte auch diese besondere Gabe beim Kochen." Ich zögere einen Moment und füge dann leiser hinzu: "Vielleicht... würden Sie mir ein paar Ihrer Küchengeheimnisse anvertrauen? Mein Sohn würde sich bestimmt freuen, wenn ich ihm eines Tages auch solche Gerichte zaubern könnte."
Skeptisch sieht sie mich an.
Dann nickt sie langsam.
"Zu laut! Viel zu laut!"
Frau Müller sitzt kerzengerade in ihrem Sessel und starrt böse zu Frau Krause hinüber, die mit ihrem Hörgerät kämpft.
"Setzen Sie sich doch ein bisschen weiter weg", schlage ich vor.
"Unmöglich!" Sie rückt ihre Perlenkette zurecht. "Das ist mein Platz. Schon immer gewesen. Außerdem..." Sie deutet auf den Fernseher. "Der steht völlig falsch. Das gibt Nackenstarre!"
Frau Krause dreht am Lautstärkeregler. "...und hier die neuesten Nachrichten aus Hamburg...", dröhnt es durch den Raum.
Frau Müller zuckt zusammen. Ihre Finger krallen sich in die Armlehnen.
"Wollen wir umschalten?", frage ich schnell. "Die Kochshow müsste gleich..."
"Nein, nein", sagt sie hastig. Ihre Finger spielen nervös mit der Perlenkette. "Lassen Sie nur. Hamburg... da muss man doch wissen, was sich tut."
Frau Krause kämpft weiter mit der Technik. "Verflixt! Wo ist der Lautstärkeknopf?"
"DER ROTE KNOPF!", brüllt Frau Müller plötzlich. "DER ROTE!"
Stille. Alle starren sie an.
"Entschuldigung", murmelt sie und nestelt verlegen an ihrem Kleid. "Ich war früher Grundschullehrerin. Vierzig Jahre lang." Ein stolzes Lächeln huscht über ihr Gesicht. "Wissen Sie, manchmal vermisse ich das - einem Kind beibringen, wie man richtig zuhört. Thomas hat das damals so schnell gelernt..."
Frau Krause hat den roten Knopf gefunden. Der Ton wird leiser.
"Na also", sagt Frau Müller. "Geht doch."
Sie bleibt den ganzen Nachrichten-Block still sitzen.
"Die Rosen stehen völlig falsch!"
Frau Müller steht am Fenster ihres Zimmers und schüttelt den Kopf. "Herrjemine, hat denn hier niemand Geschmack? So dicht gepflanzt wie bei einem Blumenstrauß vom Discounter! Und dann Rosa neben Rot - das ist ja wie Sandalen mit Socken!"
Ich trete neben sie. Der Garten des "Abendfriedens" ist berühmt für seine Rosen. Sogar die Lokalzeitung hat darüber berichtet.
"Ach", seufzt sie und wendet sich ab. Auf der Kommode steht zwischen einem abgegriffenen Gebetbuch - "von meiner Mutter" - und einer Handcreme ein silberner Rahmen. Sie dreht ihn zu mir.
"So muss ein Rosengarten aussehen!"
Das Foto muss aus einem anderen Leben stammen. Ein gepflegter Vorgarten, Rosenbüsche in perfekter Ordnung. Ein junger Mann kniet zwischen den Blüten und lächelt in die Kamera. Das Bild ist etwas verblasst, aber seine Augen strahlen noch.
"Thomas?", frage ich vorsichtig.
Sie nickt. "Das war zu seinem dreißigsten Geburtstag. Er hat mir immer bei den Rosen geholfen." Sie streicht über das Glas. "'Mama', hat er gesagt, 'dein Garten ist der schönste in ganz...'"
Das Telefon auf ihrer Kommode klingelt. Sie erstarrt. ‘Thomas’ leuchtet auf dem Display.
"Ich... ich muss kurz..." Sie dreht sich weg, ihre Stimme zittert. "Hallo? Thomas?"
Pause. Ich sehe, wie ihre freie Hand sich fest um die Perlenkette schließt.
"Ja... ja, natürlich." Ihre Stimme wird mit jedem Wort leiser. "Viel Arbeit, das geht vor... Nein, nein, Ostern ist auch in Ordnung. Oder Pfingsten... oder..." Sie schluckt. "Ein andermal eben... Ja... Ja... Mach's gut, mein Junge."
Sie legt auf, starrt in den Garten. Ihre Perlenkette klickt leise. Wieder greift sie nach dem Rahmen, ihre Hand zittert.
“Die Rosen,” sagt sie nach einer Weile und ihre Stimme klingt dünn wie ein verwehtes Blütenblatt, “die kommen jedes Jahr wieder. Ganz von alleine.”
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Hab’ einen gesegneten Tag
Jörg “es gibt viele Bibelverse, die hier passen…“ Peters