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đŽ Die rote Pille
Eine Geschichte uÌber Sehen und Erkennen
Geschichte
"Sehen Sie hier", sage ich und zeige auf das Satellitenbild.
"Diese Truppenbewegungen und Versorgungskonvois - alles deutet darauf hin. Ich habe drei Monate recherchiert. Die Beweise sind eindeutig."
Der UN-Beamte betrachtet die Aufnahmen durch seine randlose Brille. Vor ihm liegt mein Dossier: Hunderte Fotos, Augenzeugenberichte, Dokumentationen. Der ultimative Beweis, dass ich Recht habe. Dass der Frieden in Nahost nur eine Illusion ist.
"Interessant", murmelt er und schiebt die Satellitenbilder zurĂŒck. "Sie haben also die Wahrheit gefunden?"
"NatĂŒrlich!" Ich klappe meinen Laptop auf, zeige ihm die Videoclips. "Schauen Sie selbst: Diese geheimen Waffenlieferungen, die versteckten Bunker. Tatsachen! Da gibt es nichts zu interpretieren!"
Er lĂ€chelt mĂŒde. Das macht mich rasend...
âDas sind Fakten! Sie beweisen, dass der Frieden eine LĂŒge ist. Die Menschen Ă€ndern sich nie. Sie reden von Versöhnung, wĂ€hrend sie insgeheim aufrĂŒsten. Das ist die einzige Wahrheit.â
"Sie sehen Waffen und Bunker."
Seine Gelassenheit macht mich fertig. Ich schaue die Satellitenbilder. NatĂŒrlich sehe ich Waffen und Bunker. Ich bin nicht blind. Die Bewegungen der Truppentransporter, die getarnten Stellungen, die...
Moment.
Ich beuge mich nĂ€her ĂŒber das Bild vom nördlichen Grenzgebiet. Das kann nicht... Ich öffne hastig meinen Laptop, zoome in die Aufnahme hinein.
Der Bunker, den ich fĂŒr ein geheimes Waffenlager hielt - er liegt direkt neben einem Krankenhaus. Und die regelmĂ€Ăigen Bewegungen der Transportfahrzeuge... Das sind keine Truppentransporte. Das sind Krankenwagen.
"Können wir fortfahren?", fragt der Beamte trocken.
Ich nicke mechanisch, aber meine Finger verharren noch eine Sekunde auf dem Bild. Etwas stimmt nicht. Dieses Detail passt nicht.
Vor dem UN-GebÀude zieht eine Friedensdemo vorbei. "Schalom! Salam!" skandieren sie. Naive TrÀumer. Ich habe Beweise, dass...
Beweise!
Mein Blick wandert zurĂŒck zu den Satellitenbildern aus dem Norden. Zu den Transportern, die ich fĂŒr Truppenbewegungen hielt.
"Hier", sage ich hastig und ziehe ein weiteres Foto hervor. "Das ist eindeutig. Diese Anlage im SĂŒden..." Meine Stimme klingt anders. Unsicherer? Nein. Professionell. Objektiv.
Das sind die Fakten!
Ich spĂŒre den Blick des Beamten. Etwas an seiner Art zu schauen macht mich nervös.
Fahrig sortiere ich meine Unterlagen, schiebe Bilder hin und her. Wo ist das Bild von dem Panzer, der... Moment, was ist das?
Ein Umschlag rutscht aus meiner Mappe, Fotos verstreuen sich auf dem Boden zu meinen FĂŒĂen. Ich bĂŒcke mich schnell, will sie aufheben, halte inne. Diese Bilder... Mist, wo kommen die her? Ich hatte sie aussortiert. Weggelegt.
Hastig stopfe ich sie zurĂŒck.
"Haben Sie Aufnahmen von den neuen MÀrkten?", fragt der Beamte beilÀufig. "Den gemeinsamen Schulprojekten?"
NatĂŒrlich habe ich solche Bilder. Irritiert schaue ich ihn an. Meine Hand umklammert den Umschlag.
âSie mĂŒssen im Archiv sein.â
Er sieht mich fragend an.
Der Umschlag fĂŒhlt sich tonnenschwer an. Ich bekomme eine GĂ€nsehaut und meine Gedanken laufen Amok: âWarum fragt er nach diesen Aufnahmen? Das ist doch Kinderkram, irrelevantes Zeug. Die geschmĂŒckten Checkpoints. Die spielenden Kinder. Belanglose Momente, die nichts beweisen. Die nichts mit der Wahrheit zu tun haben.â
"Zeigen Sie mir doch einfach alles, was Sie haben," sagt der Beamte. "Wirklich alles."
UnglĂ€ubig schaue ich ihn an. Ich kannâs nicht glauben, da ist sogar ein LĂ€cheln auf seinem bebrillten Gesicht. Will der mich veralbern? HeiĂ lĂ€uft es mir den RĂŒcken hinunter, das Hemd klebt am Körper.
âIst das wirklich so?â, denke ich.
Drei Monate lang habe ich durch den Sucher meiner Kamera geschaut. Habe dokumentiert, fotografiert, recherchiert. Und die ganze Zeit habe ich nur das gesehen, was ich sehen wollte.
Meine Wahrheit.
Meine sorgfÀltig ausgewÀhlte, handverlesene, zurechtgebogene Wahrheit.
Langsam öffne ich den Umschlag mit den "irrelevanten" Bildern. Lege sie neben die anderen. Die Waffen. Die Bunker. Die Beweise.
Sie sind bunter. Bunker sind immer grau.
Zum ersten Mal sehe ich sie wirklich. Alle Bilder. Das ganze Bild.
Ein merkwĂŒrdiges GefĂŒhl ĂŒberkommt mich. Als wĂŒrde ein Schleier von meinen Augen fallen, von dem ich nicht wusste, dass er da war.
"Sie sehen Waffen und Bunker", hatte er gesagt.
Ja. Ich hatte gesehen, was ich sehen wollte. Was meine eigene Weisheit mir vorschrieb.
Jetzt sehe ich mehr. Sehe tiefer. Als hÀtte jemand ein Licht angeknipst, das die Wirklichkeit neu zeigt.
WĂ€hrend ich die Bilder betrachte - alle Bilder - beginne ich zu begreifen: Wahres Sehen beginnt, wo unsere Vorstellungen enden.
Denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen
Unser Leben als Christen hÀngt nicht von dem ab, was wir mit unseren physischen Augen sehen, sondern von dem, was wir im Glauben erkennen.
Ich verstehe das so, dass allein der Glaube an Jesus Christus uns die tatsÀchliche RealitÀt erkennen lÀsst. Ohne den Glauben an Jesus stehen uns unsere Vorstellungen im Weg, ob wir das glauben oder nicht.
Habâ einen gesegneten Tag
Jörg âwelche Bilder haben wir in unseren UmschlĂ€gen?â Peters