🔴 Der Junge mit dem Drachen

Der Weg zu Gott führt nicht durch Anstrengung, sondern durch Loslassen

Geschichte

„Herr, wo bist du?"

Mit dieser Frage war Thomas an diesem Herbstmorgen aufgebrochen, den Kopf gesenkt, die Schultern schwer von Zweifeln. Seit Wochen fühlte sich sein Glaubensleben wie eine ausgetrocknete Quelle an - nur ein staubiger Grund, wo einst lebendiges Wasser floss. Seine Gebete prallten von der Zimmerdecke ab, das Fasten hinterließ nur eine innere Leere, und selbst seine geliebte Bibel lag wie ein stummer Vorwurf auf dem Nachttisch.

Je verzweifelter er nach Gott suchte, desto weiter schien er sich zu entfernen.

Während er ziellos durch die Felder seiner Heimatstadt wandert, ziehen graue Wolken über den Himmel - so rastlos wie seine Gedanken.

Plötzlich hört er ein begeistertes "Wooohooo!" von einem nahegelegenen Feld. Ein kleiner Junge, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, hüpft aufgeregt auf der Stelle. Seine quietschgelben Gummistiefel werden von Matsch bespritzt. In seinen Händen hält er die Schnur eines Drachens, der im Wind tanzt.

Thomas bleibt stehen. Seine Finger verkrampfen sich in den Taschen seiner Jacke. Etwas an diesem Bild schnürt ihm die Kehle zu - die pure Freude in der Stimme des Jungen, das rhythmische Zerren der Drachenschnur, das Rauschen des Windes. Bitterkeit steigt in ihm auf. Wie kann ein Kind, das vermutlich nie über Gott nachgedacht hat, so viel mehr Lebensfreude ausstrahlen als er selbst nach jahrelangem Bibelstudium?

"Höher!", ruft der Junge seinem Drachen zu, "Noch höher!" Dabei hüpft er hin und her, als würde er selbst abheben.

Thomas will weitergehen – sein Verstand sträubt sich, von einem Kind über den Glauben zu lernen. Er ballt die Fäuste in den Jackentaschen, spürt das Brennen des Stolzes. Doch die unbändige Freude des Jungen zieht ihn wie ein unsichtbarer Faden. Seine Füße bleiben stehen, während sein Kopf noch "Geh weiter!" schreit.

Mit einem tiefen Atemzug geht er auf den Jungen zu. "Hallo! Das sieht nach Spaß aus." Mühsam setzt er ein Lächeln auf.

Der Junge dreht den Kopf in Richtung der Stimme, seine Augen schauen ins Leere. "Oh, hallo! Ich hab Sie gar nicht kommen hören. Zu viel Wind!" Er lacht.

"Darf ich dir beim Drachensteigen zuschauen?"

"Zusehen können Sie, aber ich kann das leider nicht," sagt der Junge mit einem unbefangenen Lächeln. "Bin blind. Aber das ist in Ordnung - fühlen ist eh viel spannender!"

Thomas' Herz macht einen Sprung. Beschämt über seine gedankenlose Bemerkung will er sich entschuldigen, doch die Freude in Davids Stimme hält ihn zurück.

"Das... das ist beeindruckend", sagt er schließlich. "Wie lange machst du das schon mit dem Drachensteigen?"

"Seit letztem Jahr!", ruft der Junge begeistert. "Ich bin David. Mein Drache heißt Max! Mama sagt, ich bin der beste Drachenpilot der Stadt."

„Wie ist es, wenn du ihn nicht sehen kannst?", fragt Thomas.

"Das ist einfach!", ruft David und zieht an der Schnur. "Spürst du das? Max sagt mir 'Hallo!'" Er kichert, als der Wind stärker wird. "Manchmal zieht er so doll, dass ich fast abhebe!"

Thomas spürt, wie sich etwas in seiner Brust löst. Die unbeschwerte Art des Jungen weckt eine verschüttete Sehnsucht in ihm.

"Mama sagt, ich bin gut im Drachensteigen", plappert David. "Es ist wie mit Jesus - man muss ihn nicht sehen, um zu wissen, dass er da ist. Man spürt es hier drin." Er tippt sich auf die Brust. "Wie Max an der Schnur!"

Die Worte treffen Thomas wie ein sanfter Blitz, der nicht zerstört, sondern erhellt. All seine theologischen Diskussionen und verzweifelten Versuche, Gott zu "beweisen" - und hier steht ein kleiner Junge in matschigen Gummistiefeln, der den Glauben einfach lebt.

Thomas blickt zum Himmel und erkennt seine Blindheit.

All die Jahre hatte er versucht, Gott mit dem Verstand zu greifen, ihn in Worte und Formeln zu pressen. Dabei ist es so einfach wie Davids Spiel mit dem Wind: Man muss loslassen, um zu fühlen. Muss die Kontrolle aufgeben, um die Verbindung zu spüren.

Vielleicht, denkt Thomas, war sein Fehler all die Jahre, dass er nach Beweisen suchte, wo es ums Spüren ging.

Eine Windböe streicht über sein Gesicht, sanft wie eine Berührung.

Wie eine Drachenschnur im Wind.

Wo in deinem Leben versuchst du vielleicht zu sehr, Gott mit dem Verstand zu erfassen, statt ihn mit dem Herzen zu spüren?

Da Janneke und ich am Wochenende unseren Sohn und seine Frau in Berlin besuchen, fällt das JesusJournal morgen leider aus.

Hab’ ein gesegnetes Wochenende
Jörg “spürt Sein Zupfen - nicht immer, aber immer öfter“ Peters

Heute morgen an der Ampel. Die Aufkleber waren letzte Woche noch nicht da :)