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🔴 Die Geschichte des Lichts
Zwischen Breaking News und Butterbrot: Weltuntergänge schon zum Frühstück
Geschichte
„Hast du das gelesen?"
Herbert starrt auf sein Tablet, als könnte er die Worte durch pure Willenskraft ändern. Seine Finger zittern leicht, als er den nächsten Artikel öffnet. Draußen geht die Sonne auf, aber er nimmt das warme Licht kaum wahr. Erst als Maria ihre Hand auf seine Schulter legt, zuckt er zusammen.
"Du hast deinen Kaffee wieder nicht angerührt". Ein besorgter Blick huscht über ihr Gesicht, verschwindet aber schnell unter ihrem charakteristischen Lächeln.
Das Morgenlicht fällt wie flüssiges Gold durch die Küchengardinen. Maria sitzt im warmen Schein, während sie behutsam das Messer in den Honig taucht. In der Art, wie sie es tut, liegt etwas fast Feierliches.
„Das ist wichtig!" Herbert räuspert sich. Er zeigt auf irgendeine Meldung. „Hier steht..."
„Mhm", macht Maria und legt ein Butterbrot auf den kleinen Teller neben sich. Ihre Hände zögern kurz. Sie hat die Blicke der anderen Nachbarn gesehen, wenn sie zu Frau Yildiz geht. Die geflüsterten Kommentare gehört. Manchmal fällt es ihr schwerer als sie zugibt. Aber dann denkt sie an Jesus und wie er mit der Samariterin sprach, und ihre Entschlossenheit kehrt zurück.
„Das ist für Frau Yildiz von nebenan," sagt sie mit fester Stimme. „Ihre Arthritis macht ihr wieder zu schaffen. Magst du es ihr später bringen?"
Herbert lässt das Tablet sinken. „Frau... was? Die neue Nachbarin mit dem Kopftuch? Maria, ich versuche dir zu erklären, wie dramatisch die Situation ist! Die Statistiken zeigen eindeutig..."
Wie kann sie so ruhig bleiben, während die Welt um sie herum zusammenbricht?
Maria streicht sanft über das frische Brot, als würde sie ein Kunstwerk vollenden. „Die Sonne scheint heute so schön", sagt sie und ihr Gesicht leuchtet dabei wie die Morgensonne selbst. „Perfektes Wetter, um jemandem eine Freude zu machen."
Herbert seufzt. Manchmal hat er das Gefühl, seine Frau lebt in einer anderen Welt. Einer Welt ohne Krisen, ohne drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch, ohne... Er schaut auf sein Tablet. Die roten Breaking-News-Banner schreien ihm entgegen.
Maria stellt den Teller neben seine kalte Kaffeetasse. „Dein Honigbrot. Extra dick, wie du es magst." Sie zwinkert ihm zu. „Und jetzt entschuldige mich, ich habe noch einen kleinen Besuch zu machen."
„Aber..." Herbert schaut ihr nach, wie sie mit dem zweiten Teller die Küche verlässt. Diese unmögliche Frau, die einfach weiterlächelt, während die Welt den Bach runtergeht.
Durch das Küchenfenster sieht er, wie sie den kurzen Weg zum Nachbarhaus hinübergeht, das Gesicht der Morgensonne zugewandt. War da ein leises Lied auf ihren Lippen?
Herbert schüttelt den Kopf und will sich wieder seinen Nachrichten zuwenden. Dann sieht er das Honigbrot. Golden glänzt es im Morgenlicht. Wie Marias Haar. Er nimmt einen Bissen. Es schmeckt nach... Zuhause. Nach Frieden.
Einen Moment vergisst er die Breaking News.
Aber nur einen Moment.
Drei Stunden später...
Herbert sitzt an seinem Schreibtisch, der Bildschirm flackert. Drei Nachrichtenseiten gleichzeitig, die Fenster überlappen sich wie konkurrierende Weltuntergänge. Daneben seine aufgeschlagene Bibel, die Seiten dünn wie Pergament. Seine Finger streichen über die vergilbten Prophezeiungen. Hesekiel. Jeremia. Daniel. Sie alle haben düstere Zeiten vorhergesagt.
Diese Zeiten? Seine Augen wandern zwischen den biblischen Worten und den digitalen Schlagzeilen hin und her, suchen nach Mustern, nach Bestätigung.
Er tippt gerade einen biblisch fundierten Kommentar zu einem Artikel über den wirtschaftlichen Niedergang, als er draußen Stimmen hört.
Maria. Natürlich Maria. Sie steht am Zaun und spricht mit Frau Yildiz’ Sohn. In der Hand hält sie einen dampfenden Suppentopf, der mindestens so heiß ist wie sein Kopf, wenn er an die Parallelgesellschaften denkt, die sich hier entwickeln.
„...und fügen Sie etwas Safran hinzu. Das hat meiner Mutter bei Gelenkschmerzen immer geholfen."
Der junge Mann – hieß er Kemal? – nickt eifrig und macht Notizen auf seinem Handy. „Das ist so freundlich von Ihnen, Frau Bauer. Erst das Brot heute Morgen, und jetzt die Suppe und das Rezept..."
Herbert schüttelt den Kopf und wendet sich wieder seinem Kommentar zu. Seine Finger hämmern auf die Tastatur: „Die Menschen verstehen einfach nicht..."
Dann durchbricht etwas die Wand aus Weltuntergangsszenarien, die ihn umlagern wie ein Schwarm hungriger Möwen ein fallengelassenes Brötchen. Marias Lachen, hell wie eine Glocke, klar wie das Morgenlicht, dringt durch das Fenster.
Seine Finger erstarren über der Tastatur.
„Ach, das ist selbstverständlich! Wir sind doch Nachbarn. Und außerdem..." Sie zwinkert Kemal zu. „Vielleicht verraten Sie mir ja einmal das Geheimnis der köstlichen Baklava, die Ihre Mutter neulich gebacken hat?"
Herbert starrt auf seinen halbfertigen Kommentar. Marias Lachen klingt wie damals, als sie jung waren. Als er noch an das Gute glaubte. Nicht nur auf das Schlechte sah. Der Cursor blinkt anklagend.
Langsam, Buchstabe für Buchstabe, löscht er seinen Kommentar.
Eine Woche später…
Herbert steht an der Bushaltestelle, das Handy wie ein Schutzschild vor sich. Breaking News: "Neue Bedrohung für unsere Gesellschaft..."
„Entschuldigung..."
Eine Blechdose schiebt sich in sein Sichtfeld, direkt zwischen ihn und die roten Schlagzeilen. Der Duft von Gebäck steigt ihm in die Nase. Warm. Süß. Nach... Zuhause?
Herbert blickt auf. Kemal. Der Junge von nebenan. Er hält die Dose so behutsam, als trüge er einen Schatz.
„Von Mama", sagt Kemal einfach.
Herbert starrt auf die Dose. Dann auf sein Handy. Bedrohung für unsere Gesellschaft... Die Worte verschwimmen.
Kemal stellt die Dose vorsichtig neben Herbert auf die Bank. Im Weggehen murmelt er ein leises "Auf Wiedersehen".
Herbert steht da. Sein Handy blinkt rot. Daneben die Dose, warm und einladend. Die Welt riecht plötzlich nach Zimt.
Zuhause findet er Maria im Garten. Sie summt wieder, während sie die Tomaten gießt. Das Abendlicht umspielt sie wie ein goldener Schein.
"Maria?"
"Mhm?"
"Ich hab was kapiert."
Sie dreht sich um und lächelt erwartungsvoll.
Er holt sein Handy raus und starrt drauf. "Zweihundertdreißig Mal." Seine Stimme ist rau. "So oft check ich täglich die News." Er schluckt. "Die App... die zählt das mit."
Er schaut zu ihr rüber, wie sie zwischen ihren Tomaten steht, im Abendlicht. "Du machst es richtig", sagt er leise. "Du bringst Licht. Und ich..."
Er verstummt.
Über Rückmeldungen freue ich mich übrigens immer. Schreib mir also ruhig, wenn Dir etwas auffällt oder Du etwas los werden möchtest 🙂
Hab’ einen gesegneten Tag
Jörg “hat heut noch nicht eine Nachricht gelesen“ Peters