🟢 Das leere Glas

Andaschichte

Früher gehörtet ihr selbst zur Finsternis, doch jetzt gehört ihr zum Licht, weil ihr mit dem Herrn verbunden seid. Verhaltet euch so, wie Menschen des Lichts sich verhalten. Ihr wisst doch: Die Frucht, die vom Licht hervorgebracht wird, besteht in allem, was gut, gerecht und wahr ist.

Epheser 5,8-9 (Neue Genfer Übersetzung)

Kerstin sitzt am Küchentisch, die Bibel aufgeschlagen vor sich. Sorgsam zieht sie den Textmarker über eine Zeile: "Menschen des Lichts". Der gelbe Strich leuchtet in der Morgensonne.

Ihr siebenjähriger Sohn Max tapst barfuß in die Küche, seine Haare noch zerzaust vom Schlaf. "Mama, darf ich heut Nutella aufs Brot?"

"Nein, Schatz", antwortet sie und streicht ihm übers Haar. "Weißt du noch, was der Kinderarzt gesagt hat? Zucker ist nicht gut für dich." Sie lächelt, während sie ihm ein Vollkornbrot mit Käse schmiert. "Das hier macht dich stark und schlau."

Drei Stunden später schließt sie den Ordner mit der Steuererklärung. “Puh, geschafft!” Drei Stunden hat sie daran gesessen, zwischen Wäsche aufhängen und Staubsaugen. Sie öffnet das Nutella, nur kurz, nur ein kleiner Löffel.

Am nächsten Vormittag hat sie Schwimmen. Ihre Schultern sind schwer vom Training, aber sie hat durchgehalten, eine ganze Stunde. Der Kühlschrank surrt leise, während sie den Löffel aus der Schublade nimmt.

Und dann Freitagabend nach dem Gemeindetreffen. Sie hat wieder die Krankenbesuche koordiniert, die Gebetsliste aktualisiert, gelächelt, zugehört, genickt. “Wochenende!”, denkt sie erleichtert. Versonnen genießt sie den samtigen Nuss-Nougat-Geschmack.

Am Sonntag beobachtet Max sie beim Aufräumen. "Mama", sagt er und betrachtet aufmerksam das Glas auf der Arbeitsplatte, "das Nutella wird immer weniger." Seine Stimme klingt neutral, fast wissenschaftlich interessiert.

Es läuft ihr heiß den Rücken herunter. "Ach", sagt sie und räumt hastig weiter auf, "ich glaub, das kommt dir nur so vor."

Die Worte fühlen sich klebrig an auf ihrer Zunge, wie geschmolzene Schokolade. Mühsam schluckt sie ihren Schreck herunter. Das unangenehme Gefühl in ihrer Magengegend schiebt sie beiseite, während sie das Glas wieder in den Schrank schiebt. Ganz nach hinten.

Dienstag darauf sitzt Max am Küchentisch und malt. Kerstin steht am Küchenschrank, den Löffel bereits in der Hand. Sie hat heute drei Hausbesuche gemacht. "Schließlich muss ich funktionieren", denkt sie. "Für Max. Für die Gemeinde. Ein kleiner Seelentröster ist da doch..."

Sie hält inne.

Max' Bleistift kratzt über das Papier - ein reiner, unverfälschter Klang. Wie Wahrheit, die sich ihren Weg bahnt. Sie starrt auf den Löffel in ihrer Hand. Der Junge malt weiter, völlig versunken, ohne Maske, ohne Versteckspiel.

Wann war sie so gut darin geworden, sich selbst zu belügen?

"Was malst du da, Schatz?", fragt sie, den Löffel noch immer in der Hand.

"Eine Geschichte von Jesus", sagt er, ohne aufzublicken. "Frau Weber sagt, dass Jesus Kinder toll findet, weil sie ehrlich sind.”

Der Löffel klirrt leise, als Kerstin ihn in die Spüle fallen lässt. Plötzlich erahnt sie die Tiefe in Jesu Worten über die Kinder.

So einfach. So klar.

Kurz erschaudert sie, dann geht sie hin und gibt ihrem Sohn einen dicken Kuss auf die Wange.

Jesus rief ein Kind, stellte es in ihre Mitte und sagte: "Ich versichere euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen."

Matthäus 18,3 (Neue Genfer Übersetzung)

Vielen Dank für deine wunderbare Andacht von heute morgen, Frank. Du siehst, sie hat mich sehr angesprochen :)

Habt alle einen gesegneten Tag
Jörg “kennt jemanden, der auch gerne Nutella isst“ Peters